24. November 2007 | Hauptschule

Schulleiter fordern Abschaffung

von Sarah Sticker (taz). Stuttgart


In Baden-Württemberg haben 400 Rektoren die Nase voll: Sie appellieren an die Landesregierung, das Elend der Hauptschulen zu beenden.

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Als Günther Bader 1967 seine erste Hauptschulklasse übernahm, hatte er nicht das Gefühl, vor Kindern zu stehen, die die Gesellschaft als Verlierer betrachtet. Über 60 Prozent eines Jahrgangs besuchten die Hauptschule. Dann wurden Realschule und Gymnasium beliebter. Die Eltern wollten ihre Kinder möglichst weit oben sehen in der Bildungspyramide. Das Image der Hauptschule litt, aber Bader versuchte sie zu retten, als Rektor und Funktionär beim Schulamt. Jetzt ist Schluss. Bader sagt: „Die Hauptschule brauchen wir nicht mehr.“

Der 66 Jahre alte Pensionär aus Friedrichshafen gehört seit kurzem zu einer Bewegung, die die Hauptschule kippen will – ausgerechnet im reichen Baden-Württemberg, wo die Schulen mehr Geld haben als anderswo. Seit April haben sich Schulleiter im Land zu einer Rebellion gegen ihren Dienstherrn zusammengefunden. Mittlerweile sind es 400 Rektoren. Hinzu kommen neuerdings Fachleute wie Bader, die jahrelang für die Hauptschule gekämpft haben. Sie nehmen Kultusminister Helmut Rau (CDU) in den Schwitzkasten, der die Hauptschule unbedingt kurieren will.

„Können Sie sich vorstellen, sehr geehrter Herr Minister Rau, was in einem Kind vorgeht, das als einziges eine Hauptschulempfehlung erhält, während die anderen in den Nachbarort zur Realschule oder zum Gymnasium fahren?“, hat Bader an den Minister geschrieben. Die Kinder müssten zusammen lernen, damit stärkere Schüler schwächere mitziehen und zugleich soziale Verantwortung einüben. Er verstehe nicht, warum die schwächeren Schüler die kürzeste Schulzeit hätten. Nach dem Abschluss in der 9. Klasse müssten sie dann mit älteren Realschulabgängern oder sogar mit Abiturienten um Ausbildungsplätze konkurrieren.

Der Initiative „Länger gemeinsam lernen“ haben sich inzwischen nicht nur DGB und Städtetag Baden-Württemberg angeschlossen, sondern auch der frühere Chef des Eliteinternats Salem, Bernhard Bueb, ein überaus konservativer Pädagoge. Zudem ist die Zahl der beteiligten Rektoren groß, wenn man bedenkt, dass Beamte zur Loyalität gegenüber ihrem Minister verpflichtet sind. Trotzdem haben 400 von 2.650 Grund- und Hauptschulchefs den Appell zur Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems unterschrieben. Der Sprecher der Initiative, Bernd Dieng, zieht sogar den Vergleich mit der Berliner Rütli-Schule, deren Hilferuf 2006 Aufsehen erregte: „Beides ist ein Ruf aus der Praxis: So kanns nicht weitergehen.“

Der Kultusminister hat ein „Fitnessprogramm“ eingeleitet und im Sommer 26 Millionen Euro für „pädagogische Assistenten“ und die Besetzung von Lehrerstellen bereitgestellt. Bringt nichts, schimpfen die Schulrebellen. Ganz egal, wie hoch die Qualität der Hauptschulen sei, die Eltern setzten alles daran, ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken. Der Ruf der Hauptschule sei nicht zu reparieren.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass Rau nicht einlenkt. Rheinland-Pfalz schafft die Hauptschule ab. Und Raus Vorgängerin, Bundesbildungsministerin Annette Schavan, spricht längst öffentlich über gemeinsames Lernen. Allerdings kann Schavan die Südwest-CDU auch wurscht sein. Rau dagegen, heißt es im Landesvorstand seiner Partei, werde die Abschaffung der Hauptschule nie durchsetzen können. CDU-Würdenträger auf dem Land hätten die Hauptschule noch lange nicht abgeschrieben. Keiner wolle der Bürgermeister sein, unter dem die einzige Schule im Ort dichtgemacht würde. Rau selbst sagte dazu: „Nicht nur die Schulleistungsstudien, sondern auch die Untersuchungen der Bildungsforscher belegen, dass es keinen Grund gibt, das gegliederte Schulsystem aufzugeben.“ Auch CDU-Landtagsfraktionschef Stefan Mappus erklärte kürzlich, wer Hauptschulen mit anderen Schularten zusammenlege, „trägt zu einem Massensterben von kleinen Schulen im ländlichen Raum bei“.

Das könnte aber auch so passieren. Auf vielen Hauptschulen gibt es nicht mal mehr die 17 Schüler, die es nach einer Richtlinie des Ministeriums pro Klasse braucht. Auch junge Lehrer meiden die „Restschule“.

Zumindest hat im Ministerium Nachdenken eingesetzt. Eine Arbeitsgruppe berate nun über „Kooperationsmöglichkeiten zwischen Haupt- und Realschulen“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Auch gemeinsamer Unterricht und der Austausch von Lehrkräften seien im Gespräch. Dennoch: An der Hauptschule werde festgehalten.

© taz vom 24.11.2007


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