2. März 2010 | Ungerechter Welthandel

Ghanas Hühnerfarmer lassen Federn

von Johan von Mirbach. Accra (Ghana)


Ghanas Hühnerfarmer bekommen zunehmend die internationale Konkurrenz zu spüren. Große Mastbetriebe aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Brasilien und Kanada verkaufen dort ihre gefrorene Importware zu Dumpingpreisen.

Lesezeit 5 Minuten
Gefrorenes Importhuhn auf dem Markt in Ghana
Foto: Johan von Mirbach

Heute ist Ihr letzter Tag auf dem Hühner-Markt. Die 40jährige Rachel Osabutey packt die Hühner zusammen, die sie nicht verkaufen konnte und beginnt mit ihren Mitarbeitern, den kleinen Behelfsstall abzubauen, der zwei Wochen lang mitten auf der Straße in Accra stand. Seit dem 18. Dezember hatte sie versucht, die letzten Hühner ihrer Geflügelfarm zu verkaufen. Jetzt macht sie dicht.

“Ich wollte vor allem die Weihnachtszeit ausnutzen”, erzählt sie, “da geben die Leute mehr Geld aus und ich dachte, ich könnte meine restlichen Hühnerbestände noch zu Geld machen.” Noch vor sechs Jahren hatte sie zusammen mit ihrem Mann Edward drei große Farmen mit über 10.000 Hühnern und einigen hundert Truthähnen. Die Familie besaß eine eigene Schlachterei sowie eine Verpackungsanlage. Doch das importierte gefrorene Geflügel aus Europa, Nord- und Südamerika war einfach unschlagbar billig. Bei Preisen von 5 Cedi pro Huhn – umgerechnet 2,50 Euro – konnten Rachel und Edward nicht mehr mithalten.

„Die großen Hotels, Supermärkte und Restaurants haben mir früher die Hühner aus den Händen gerissen“, erzählt Edward, „aber auf einmal bin ich auf meiner Ware sitzen geblieben. Unser Kühlhaus war bis an die Decke voll mit gefrorenen Hühnern, wir wussten nicht mehr weiter. Wir haben sogar die Hotels und Restaurants in Accra einzeln abgeklappert, um das Hühnerfleisch loszukriegen. Keine Chance.“ Die europäische Konkurrenz hat Rachel und Edward ausgebotet. Am Ende mussten sie ihre gefrorenen Hühnchen unter Preis verkaufen. „Früher habe ich 10 Cedi für ein Huhn verlangen können, jetzt bekomme ich nur noch 8, weniger kann ich nicht nehmen, sonst zahle ich drauf.”

Ihre Gegner auf dem Hühnermarkt in Ghana sind große Mastbetriebe aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Brasilien und Kanada. Mit den durchrationalisierten Prozessen in den riesigen Betrieben, in denen eine Millionen Hühner gleichzeitig großgezogen werden, können sie nicht mithalten. Die Hühnerfarmer in Ghana produzieren zwar nicht ökologisch, aber in kleineren Einheiten mit viel Auslauf fürs Federvieh. Das ist zwar gut für den Geschmack und auch für die Tiere, nicht aber für den Geldbeutel. Rachel Osabutey benötigte acht Wochen, um ein Küken großzuziehen. In den großen Fabriken in Deutschland und anderswo sind es gerade einmal 35 Tage. Die deutschen und brasilianischen Billig-Hühner überschwemmen seit einigen Jahren den ghanaischen Markt. Wurden im Jahr 2001 noch 11.000 Tonnen Hühnchen importiert, waren es 2007 schon 75.000 Tonnen. Viele Hühnerfarmer mussten in den letzten Jahren Konkurs anmelden. “Ich verstehe nicht, warum unsere Regierung das zulässt.” fragt sich Rachel. Zu Recht.

Im Jahr 2003 versuchte die alte eigentlich liberale Regierung unter John John Agyeikum Kuffour, Zölle für importierte Gefrierhühner und Hühnerteile einzuführen –  wurde jedoch vom Internationalen Währungsfond (IWF) zurückgepfiffen. Die Zölle würden nicht mit dem Ziel der Armutsbekämpfung übereinstimmen. Dadurch, dass die Leute billiger Hühnchen kaufen könnten, würde mehr Einkommen für andere Dinge bleiben. So die westliche Logik der Entwicklungsorganisation. Die IWF-Kredite für Ghana wurden an die Bedingung geknüpft, die Einfuhrzölle zurückzunehmen. Kenneth Kwarty, zu dem damaligen Zeitpunkt Vorsitzender des ghanaischen Hühnerverbandes konnte die Einmischung nicht verstehen: „Mit allem hatten wir gerechnet als wir der Regierung den Zoll vorschlugen. Mit Widerstand aus den Ministerien, mit an Widerstand der Banken, Protesten der Importeure, oder der Geberländer. Das der IWF sich einmischt, hätte wir niemals gedacht.“

Die Regierung Kuffour gab aufgrund des Drucks des Internationalen Währungsfonds nach und opferte dem Millionenkredit des IWF Arbeitsplätze in der Hühnerindustrie. Und zu dem Verlust der Arbeitsplätze gesellt sich ein weiterer nicht unerheblicher Nachteil: die höhere Abhängigkeit vom Weltmarkt. Auch Kenneth Kwarty musste seine Hühnerfarmen aufgrund der starken Konkurrenz aus dem Ausland aufgeben. Jetzt hat er nur noch Legehennen und verkauft die Eier. „Das ist ein sicherer Bereich“, erzählt er zufrieden, „Hühnereier kann man nicht so einfach um die halbe Welt transportieren.“

Kay Andraschko, Direktor des Deutscher Entwicklungsdienstes (DED) in Ghana hält moderate Schutzzölle daher für sinnvoll: “Handelsliberalisierung ist nur dann sinnvoll, wenn beide Seiten Nutzen daraus ziehen. Die ghanaische Wirtschaft ist weder konkurrenzfähig, noch kann sie durchgehend dieselben Qualitätsstandards halten – egal, ob es um Hühner, Reis oder Tomaten geht.”

Die Handelsministerin der neuen Regierung, Hannah Tetteh, ist sich des Problems bewusst. Anders als die Vorgängerregierung unter Koufour, die sehr handelsliberal war, versucht sie, in den Verhandlungen mit der EU, Spielräume für Schutzzölle herauszuschlagen. Im Oktober vergangenen Jahres verweigerte sie sogar die Unterschrift zur Unterzeichnung eines Handelsabkommens  zwischen der EU und Ghana, des Interim-European Partnership Agreements (EPA). Der Vertrag hätte Ghana untersagt, die einmal festgelegt gesenkten Zölle wieder anzuheben. Außerdem will Hannah Tetteh kein ausschliesslich europäisch-ghanaisches Abkommen. Sie fordert gemeinsame Verhandlungen mit anderen westafrikanischen Ländern, die ebenfalls in der Handelsvereinigung ECOWAS organisiert sind. Denn das bilaterale Abkommen könnte zu Einbußen im regionalen Handel führen.

Darüber hinaus steht Hannah Tetteh für Neuverhandlung des Cotonou-Abkommens mit der EU und der Welthandelsorganisation WTO, denn auch diese untersagen Ghana, einmal reduzierte Zölle anzuheben. Die EU droht, mit der Nichtunterzeichnung würde Ghana die besondere Bevorzugung verlieren, die dem Land als Entwicklungsland und Ex-Kolonie eingeräumt wird.

Die Zeit spielt gegen Hühnerfarmer wie Rachel und Edward Osabutey. Durch den Zusammenbruch der Hühnerproduktion wird die Zucht für die verbliebenen Farmer teurer. Die Küken schlüpfen längst nicht mehr im Land, sondern müssen importiert werden. Große Verpackungs- und Tiefkühlanlagen werden unrentabel. Daher wird die Hühner-Produktion wie früher wieder lebend auf der Straße verkauft. Die ghanaischen Verbraucher sind jedoch längst auf den Geschmack ausländischer Ware gekommen: importiertes Fleisch kann portionsweise gekauft werden und das lästige schlachten zu Hause entfällt.

Doch importiertes gefrorenes Geflügel kann auch gesundheitliche Risiken bergen. Denn oftmals wird die Kühlkette in Ghana nicht eingehalten. Auf vielen Märkten gammelt das Fleisch bei 30 Grad vor sich hin bevor es einen Käufer findet. Es gibt zunehmend Fälle von Lebensmittelvergiftungen. Doch das hält bislang niemanden ab, das billige Importhuhn zu kaufen.

Die Ironie des Schicksals will es, dass Rachel Osabutey ihren Stand direkt vor dem Landwirtschaftsministerium nun abbaut. „Rein gehen und sich beschweren?“  Nein, auf diesen Gedanken sei sie noch nie gekommen, erklärt sie verwundert: “Was können die denn für mich tun?”  So wie ihr geht es vielen Farmern und Bauern im Agrarsektor. Die Eigenproduktion von Hühnerfleisch im eigenen Land geht stetig zurück und Ghana wird zunehmend abhängig vom Weltmarkt. Im Falle von Rachel und Edward Osabute geht das Leben aber weiter. Denn ihr Mann hat inzwischen eine neue Firma aufgebaut: Er importiert Reis.

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Der Autor

Johan von Mirbach lebt in Köln und ist Stipendiat der Heinz Kühn Stiftung.



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