17. Februar 2012 | Chilenin Camilla Vallejo

Die Eine aus einer Million

von Eva Völpel (taz).


Die Medien haben Camila Vallejo zum Gesicht der Studentenproteste in Chile gemacht. Sie sträubt sich gegen die Ehre und zeigt sich doch wortgewandt und mutig.

Lesezeit 5 Minuten

Sie begeistert. Oder wird gehasst. Für die Rechte in Chile ist die 23-jährige Kommunistin Camila Vallejo ein rotes Tuch. Eine Hündin, die man töten sollte, nannte sie eine Regierungsbeamtin. Denn für jene, denen Chiles neoliberales Modell wenig Platz zum Leben lässt, verkörpert sie die Hoffnung auf etwas anderes als ein Leben auf Kredit und im Schatten der offiziell längst besiegten Militärdiktatur.

Also wird sie gefeiert, auch in Deutschland. Auf ihrer gerade beendeten Rundreise jubelten ihr junge Studenten und ältere Exilchilenen zu. Sie rufen Sätze wie: „Das Volk wird nicht zu besiegen sein, wenn es zusammensteht.“ Da betritt sie gerade den überfüllten Saal der Berliner Humboldt-Universität – es wird diskutiert, wie die Welt zu verändern sei. Später wird sie eine halbe Stunde für Fotos belagert. Sie lächelt geduldig, wirkt unnahbar, sie will das hier nicht.

„Die Chilenen haben ihre Angst verloren. Sie glauben wieder an kollektive Handlungen. Das lässt sich nicht zurückdrehen“, sagt Vallejo. Sie ist der beste Beweis für die Entschlossenheit, mit der viele Chilenen seit Frühjahr 2011 für mehr öffentliche, kostenlose Schulen und Universitäten auf die Straßen gehen.

Im Fernsehen, wenn sie Moderatorinnen oder Politiker attackieren, bleibt die junge Frau erstaunlich gelassen. Der kommunistische Jugendverband war der Geografiestudentin offenbar eine gute Schule im Debattieren. Als der chilenische Präsident Sebastián Piñera sich weigerte, die Privatisierung der Schulen und Unis zurückzufahren, beschied sie dem Milliardär, der sein Vermögen während der Pinochet-Diktatur angehäuft hat, er mache einen großen Fehler. Die Studenten brachen die Gespräche mehrfach ab.

Projektionsfläche für die Medien
Bis Dezember 2011 war Vallejo Sprecherin des Confech, des landesweiten Dachverbandes der Universitäten in Chile, heute ist sie Vizesprecherin der Studenten einer großen Universität in Santiago. Confech hatte die Bildungsproteste vorangetrieben. Arbeiter und Professoren, Künstler und Menschenrechtler gingen auf die Straße, der Gewerkschaftsverband CUT rief zum Generalstreik auf. Über eine Million Menschen demonstrierten in einem Land, das 17 Millionen Einwohner hat.

Längst geht es nicht mehr nur um Bildung. „Wir wollen eine Steuerreform, damit auch die Reichen zahlen, wir verlangen die erneute Verstaatlichung des Kupferabbaus, eine Verfassungsreform“, sagt Vallejo. Das jetzige System nutze nur der Elite.

Auch Vallejos Eltern sind Kommunisten. Sie habe sich aber erst während des Studiums politisiert. Kommunismus, das heißt für sie eine „wirkliche Demokratie und soziale Umverteilung“. Sie sagt das auch so vage, um der Rechten wenig Angriffsfläche zu bieten. Denn die versuche über ihre Person den Protest zu desavouieren.

Dass sie zum Gesicht der Proteste wurde, versteht man schnell. Sie ist die ideale Projektionsfläche für die Medien: Ausgesprochen hübsch mit ihren grünen Augen und langen braunen Haaren. Als Confech-Sprecherin musste sie ein Jahr lang öffentlich die Forderungen der Studenten verteidigen und zeigte ihr rhetorisches Talent. Vor Hunderttausenden Demonstranten spricht sie minutenlang frei, mit Ernst und Leidenschaft zugleich.

Ihre Beschreibungen der chilenischen Gesellschaft sind scharf und präzise, ihre Forderungen deutlich. Sie macht Mut, ohne zu viel versprechen. „Wir erleben einen historischen Moment, euer Durchhaltevermögen im Angesicht von Staatsterrorismus und Verfolgung ist bewundernswert, aber unser Kampf ist nicht einfach, er wird nicht nur ein Jahr lang gehen“, ruft sie Studenten und Schülern, die 2011 Unis besetzten, zu. Sieht sie Gemeinsamkeiten mit der Occupy-Bewegung?

„Schocktherapie“ Militärdiktatur
„Wir sind viel weiter als die „Empörten“ in Spanien“, sagt sie, „denn wir wissen, welche Veränderungen wir wollen.“ Chiles Studiengebühren gehörten zu den höchsten der Welt, „Bildung ist bei uns kein Recht, es ist eine Ware. Kinder aus armen Familien verschulden sich für Jahrzehnte mit Krediten, um studieren zu können.“ Nur noch rund ein Viertel der Bildungseinrichtungen sind öffentlich.

Die Weichen dafür stellte Pinochet. Die Auswirkungen der „Schocktherapie“ Militärdiktatur (Naomi Klein) kann man bis heute beobachten. Chile gehört zu den Ländern mit der größten Ungleichheit weltweit, fast alles ist privatisiert: Straßen, die Wasserversorgung, das Gesundheitssystem. Große Teile der Verfassung, auch das Wahlsystem, das kleinere Parteien benachteiligt, stammen aus der Diktatur.

Mit Gewalt machte Pinochet Chile zu einem wirtschaftsliberalen Laboratorium, sekundiert vom verstorbenen Nobelpreisträger und Ökonomen Milton Friedman. Der gab dem General Ratschläge, wo zu kürzen, zu entlassen und zu privatisieren sei. Die Kosten des Experiments: 200.000 Chilenen im Exil, rund 37.000 politische Gefangene und Gefolterte, über 3.000 Ermordete und Verschwundene.

„2011 ist etwas aufgebrochen, was schon lange gärte“, sagt Vallejo. Es ist die Folge der großen Unzufriedenheit mit der paktierenden Demokratie nach 1990, in der die Militärs mit Drohungen größere Reformen unterbanden, die Frucht auch von konkreter Hilfe. „Wir Studenten sind nach dem Erdbeben 2010 in die verwüsteten Gebiete gefahren und haben mit aufgeräumt“, sagt Vallejo. So wurden Strukturen wiederbelebt, welche die Diktatur zerschlagen hatte: Heute debattieren landesweit Stadtteil- und Bürgerversammlungen über Politik. „Wir haben unsere Nachbarn wieder getroffen“, sagt Vallejo.

Keine Angst vor Repression
Auch der Wahlsieg des rechten Präsidenten 2010 machte die Fronten klar. Auf der anderen Seite stehen Politiker, die den Begriff Militärdiktatur aus den Geschichtsbüchern entsorgen wollen, Ehrenakte für verurteilte Folterer abhalten und ein besetztes Mädcheninternat als „Bordell“ beschimpfen.

„Das zeigt, wie verzweifelt sie sind. Mit Argumenten kommen sie gegen die Bewegung nicht mehr an“, sagt Vallejo. Aber mit Repression. Noch im März soll ein neues „Anti-Besetzer-Gesetz“ in Kraft treten, das das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit drastisch einschränken würde. Derzeit werden Hunderte von Jugendlichen von Schulen geschmissen, Vallejo selbst erhält Morddrohungen.

Diese machten ihr keine Angst, sagt sie. Aber die starke Personifizierung der Proteste: „Anführer sind notwendig, um die Ideen einer Bewegung zu übermitteln. Aber die starke Personifizierung ist funktional für die Rechte. Es wird so viel leichter, Informationen zu manipulieren.“ In Chile geht das so weit, dass sie immer wieder gefragt wird, ob sie nicht Präsidentin werden wolle. Vallejo fürchtet, man baue sie auf, um später Zwietracht zu säen, ihr Egoismus vorzuhalten, die Proteste über Dinge zu diskreditieren, die man über sie herausfindet oder ihr andichtet. Also blockt sie viele persönliche Fragen ab, kam mit zwei weiteren Aktivisten nach Deutschland, pocht auf Interviewtermine nur zu dritt. Doch auch in Deutschland hätten sich viele Medien nur auf sie gestürzt.

„Aber die Bewegung hat nicht mit mir angefangen, sie wird auch nicht beendet sein, wenn ich weg bin.“



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