22. November 2007 | Die Deutschen und die Natur

Adieu, Wildnis!

von Jakob Vogel (taz). Berlin


Der Historiker David Blackbourn sieht den Deutschen bei der „Eroberung der Natur“ zu und verweist die Idee der natürlichen Landschaft in das Reich der Mythen.

Lesezeit 4 Minuten

„Alle sind sich darin einig, dass alle Grenzen so fest und unveränderlich wie möglich sein sollten; doch was ist veränderlicher als die Mitte des Rheins, das heißt der schiffbare Teil des Flusses? Der Rhein ändert seinen Lauf jedes Jahr, manchmal zwei- und dreimal.“ Der Stoßseufzer eines Wasserbauingenieurs um 1800 verdeutlicht, wie sehr bereits an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert die Gestalt der natürlichen Umwelt auch als ein politisches Problem betrachtet wurde.

Die Debatten, die man in Napoleonischer Zeit über die Korrektur des Flusslaufs am Oberrhein führte, waren daher weit mehr als nur technische Diskussionen, denn die Vorstellung der „natürlichen Grenzen“ berührte in elementarer Weise die nationalen Selbstbilder Frankreichs und Deutschlands. Kein Wunder also, dass in den Verhandlungen über die Rheinbegradigung zwischen Baden und Franzosen heftig um den richtigen, „natürlichen“ Verlauf des Flusses gerungen wurde.

Wie sehr der Blick auf die Umwelt seit dem 18. Jahrhundert von nationalen Vorstellungen durchsetzt ist, zeigt das äußerst anschaulich geschriebene und exzellent übersetzte Buch des Harvard-Historiker David Blackbourn über „Die Eroberung der Natur“. Dieser Ansatz der Beobachtung ist keineswegs neu; etliche Autoren verfolgten ihn schon. Doch Blackbourn will mehr: Er möchte deutlich machen, wie tief die Menschen mit ihren Leitbildern auch in die äußere Gestalt der Landschaft eingriffen. Die uns heute als „natürlich“ erscheinende Umwelt Deutschlands erscheint so gesehen in vielfältiger Weise als Produkt der Geschichte. Demonstriert wird dies von Blackbourn am Beispiel des Wasserbaus und jener Ingenieure, die durch die Begradigung der Flüsse, das Trockenlegen der Sümpfe, den Bau von Deichen und Talsperren in den letzten 250 Jahren wesentlichen Anteil an der radikalen Umgestaltung der Landschaft in weiten Teilen Deutschlands hatten.

Blackbourn ist Historiker genug, um einzuräumen, dass die Eingriffe des Menschen in die natürliche Umwelt nicht erst mit der modernen Technik begannen. So unterstreicht er die Verödung, die weite Landstriche in Mitteleuropa durch die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs erlitten.

Die „Eroberung der Wildnis“ durch die Trockenlegung von Sümpfen, etwa in dem Jahrhundertprojekt Friedrichs des Großen im Oderbruch, war vielerorts eine Rückgewinnung von Land, das verwildert war, weil es zwischenzeitlich dort weder Ackerbau noch Waldwirtschaft gegeben hatte. Dennoch waren enorme Anstrengungen notwendig, um die Sümpfe an der Oder und in anderen Regionen Preußens auszutrocknen – ein Unternehmen, das der König generalstabsmäßig planen ließ und das angesichts der ständig drohenden Überflutungen am Ende nicht ohne militärische Unterstützung umgesetzt werden konnte.

Der Bau von Deichen und Uferbefestigungen war lediglich ein Teil des kolossalen Programms einer inneren Landgewinnung Preußens, das Friedrich II. initiierte. Denn das urbar gemachte Land ließ sich nur dann dauerhaft für die Wirtschaft des Landes nutzbar halten, wenn es auch entsprechend bestellt wurde. Die kameralistischen Beamten, die für den König das Werk umsetzten, forcierten daher die Ansiedlung von Kolonisten auf dem trockengelegten Land, oft Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, Süddeutschland, der Schweiz oder Österreich. Erst so entwickelten sich die fruchtbaren Ackerlandschaften Preußens, die im 19. Jahrhundert die Basis des wirtschaftlichen Aufschwungs des Landes bildeten.

Die massiven Eingriffe in die Landschaft etwa bei der Rheinbegradigung, beim Ausbau der „Wasserstraßen“ für die Dampfschifffahrt oder auch beim Bau des aus dem Boden gestampften Hafens am Jadebusen, dem späteren Wilhelmshaven, waren meist mit härtester, manchmal schier unmenschlicher Arbeit erkauft. Zudem wütete in den mühsam trockengelegten Sümpfen Mitteleuropas noch die Malaria. Dennoch waren es weniger die Arbeitsbedingungen, die schon früh kritische Stimmen und Skeptiker solcher Großprojekte auf den Plan rief. Vielmehr war es die wehmütige Rückschau auf eine als „traditionell“ und „unverfälscht“ gedachten Landschaft, die die Gemüter mancher Zeitgenossen erregte.

Zu einer breiteren politischen Kraft wurde diese Kritik, so Blackbourn, aber erst in der Heimatbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts. Bezeichnenderweise kristallisierte sich der Naturschutzgedanke dabei erstmals im Widerstand gegen den Bau einer Drahtseilbahn, die Touristen auf den zum nationalen Wahrzeichen stilisierten Drachenfels am Rhein bringen sollte. Die nationalen Bilder sollten weiterhin von aller modernen Technik verschont bleiben.

Eine „Geschichte der deutschen Landschaft“, wie es der Untertitel der deutschen Ausgabe vollmundig ankündigt, wird aus diesem faszinierenden Buch dennoch nicht, auch wenn Blackbourn in seiner Geschichte die NS-Zeit nicht ausspart und seinen Blick bis in die unmittelbare Gegenwart streifen lässt. „Water, Landscape and the Making of Modern Germany“ heißt daher auch treffender der englische Originaltitel.

Doch ist nicht nur der Verlag für dieses Missverständnis verantwortlich zu machen, Blackbourn selbst überschreitet im zweiten Teil die von ihm ursprünglich vorgenommene Eingrenzung des Themas. So weitet er sein Buch mehr und mehr zu einer Geschichte der Natur- und Umweltbewegung, für deren umfassende Darstellung ihm dann jedoch manche Einzelheiten und Entwicklungsstränge fehlen.

Für ein umfassendes Gemälde der „deutschen Landschaft“ vermisst man am Ende aber vor allem die zum Bild dazugehörenden Berge und Felder. Nicht anders als bei den Flüssen, Bächen und Küsten lässt sich ihre heutige Form ebenso wenig als „naturwüchsig“ bezeichnen, wie dies manch eingefahrene Redeweisen selbst in der Naturschutzbewegung glauben machen will. Doch hierfür wird man auch weiterhin etwa zu anderen Studien wie Rainer Becks Buch „Ebersberg oder das Ende der Wildnis“ greifen, das die historische Entwicklung der Landschaft im Voralpenland betrachtet. Einen prominenten Platz im Bücherregal sollte Blackbourns Buch dennoch auf jeden Fall finden.

© taz vom 22.11.2007


Foto im Artikel gelöscht wegen fehlender Copyright-Angabe. 4.4.24


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